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Kunst

Zen: Den Moment erleben

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Die Zen-Philosophie bildet den Gegenentwurf zu unserem überladenen und hektischen Alltag. Was sich hinter Zen verbirgt, welche Rolle Kunst dabei spielt und was das alles mit Blumen zu tun hat, erfährst du hier.

Wenn Toshiro Kawase durch die Natur spaziert, sieht er mehr als Blumen, Blätter, Moos und Zweige. Er sieht neue Welten, ein Bild, das sich in seinem Kopf zusammenfügt. Während seiner Spaziergänge sammelt er auf, was ihm ins Auge sticht. Dabei achtet er nicht auf Perfektion. Krumme Zweige, verdorrte Blätter, „verletzte“ Blumen nimmt er mit. Zurück zuhause erschafft er daraus Kunst. In stundenlanger Arbeit ordnet er seine Fundstücke nach vorgegebenen Regeln an. Das Ergebnis ist ein Arrangement, bei dem die Schönheit jeder einzelnen Blume, jedes einzelnen Zweigs präsentiert wird.

Toshiros Kunst zeigt die Verbindung zwischen Mensch und Natur

Toshiro Kawase ist Ikebana-Künstler. Ikebana bedeutet „lebende Blume“. Dahinter verbirgt sich die japanische Kunst des Blumenarrangierens. Dabei werden Blumen, aber auch Zweige, Blätter oder Wurzelstücke nach vorgegebenen Regeln in einem Steckigel angeordnet. Es gibt verschiedene Arten von Ikebana, alle haben aber eines gemeinsam: Das Gesteck ist immer in drei Linien aufgeteilt. Diese drei Linien heißen Shin, Soe und Tai. Shin bildet die längste Hauptlinie und bedeutet so viel wie „Wahrheit, Reinheit, Wirklichkeit“. Sie symbolisiert den Himmel und steht in der Mitte des Arrangements. Soe ist halb so lang wie Shin und bedeutet „Begleitung, Ergänzung, Assistent“. Diese Linie symbolisiert die Erde. Tai ist halb so lang wie Soe. Sie symbolisiert die Menschheit. Diese Linien können senkrecht, waagerecht oder diagonal angeordnet werden. Je nachdem, was das Gesteck ausdrücken soll. Ruhe und Gleichgewicht lassen sich durch waagerechte oder senkrechte Linien darstellen, diagonale Linien vermitteln den Eindruck von Bewegung. Das fertige Ikebana stellt das Zusammenleben von Mensch und Natur dar.

Ziel ist es dabei nicht, Blumen optisch ansprechend zu arrangieren. Vielmehr kommt es darauf an, die Unvollkommenheit der Natur wirken zu lassen und bestmöglich auszudrücken. „Das Unperfekte ist Teil meiner Kunst“, sagt Toshiro. „Und die ist blühend, sterbend und krumm, genauso wie symmetrisch, verworren, pastellfarben und grau.“ Toshiro war bereits als Kind von dieser abstrakten Kunst fasziniert: „Schon mit vier Jahren vermutete ich, dass sich hinter Blumenarrangements ein eigenes Universum versteckt. Kein Wunder, denn meine Familie in Kyoto steht seit Generationen der ältesten Ikebana-Schule nahe.“ Heute zählt der 74-Jährige zu den bedeutendsten Ikebana-Künstlern Japans.

Ein Ikebana-Arrangemtn ist schlicht.
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Ein Ikebana-Gesteck besteht nur aus wenigen Blumen und Zweigen.

Ein Ikebana besteht aus drei Linien.
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Das filigrane Arrangement dient als Dekoration in Teehäusern oder für zu Hause.

Ikebana ist Teil von Zen

Toshiros Werke entstehen mit viel Liebe und Hingabe – und brauchen viel Zeit. Wenn er seine Blumen steckt, erreicht er einen meditativen Zustand. Er ist ganz im Hier und Jetzt. Im Zen-Buddhismus, kurz Zen, dient Ikebana deshalb als Weg, den gegenwärtigen Moment zu erfahren. „Zen“ leitet sich von der altindischen Sprache Sanskrit ab und bedeutet „Meditation“ oder „Versenkung“. Der Zen-Buddhismus lehrt, durch Meditationspraxis im Einklang mit sich selbst und der Umwelt zu leben. Gleichzeitig übermittelt Zen die Philosophie, ein simples Leben zu führen, sich von unnötigen Dingen zu befreien. Zen steht für Stille, Zen steht für Eleganz und Natürlichkeit, Zen steht für Verbundenheit mit der Natur und Einfachheit. Zen ist die Reduzierung auf das Wesentliche. Das spiegelt sich auch im Ikebana wider. Die filigranen Arrangements bilden den Gegenentwurf zu pompösen Blumensträußen. Künstler:innen müssen lernen, Dinge wegzulassen.

Zen Art hilft, den Moment zu erleben

Neben dem Ikebana werden im Zen-Buddhismus viele weitere Künste praktiziert und werden als Zen-Kunst oder Zen Art bezeichnet. Zen Art soll den Menschen helfen, den Moment zu erleben und in der Gegenwart zu bleiben. Außerdem trainiert Zen Art Harmonie und Achtsamkeit. Zen-Künste werden an Schulen auf der ganzen Welt gelehrt. Oft bedarf es eines jahrelangen Trainings, um die Künste perfekt zu beherrschen.
Eine weitere Zen Art ist zum Beispiel das Sumi-e. „Sumi“ bedeutet „schwarze Tinte“, und „e“ bedeutet „Malerei“. Dabei handelt es sich um eine Form der Zen-Malerei. Mit schwarzer Tinte und nur wenigen Pinselstrichen gelingt es im Sumi-e, selbst komplexe Themen darzustellen. Als Leinwand dient Reispapier. Motive für die Bilder sind meist Pflanzen, Bäume, Landschaften, Menschen und Tiere.
Auch die japanische Teezeremonie ist eine Zen Art. Bei einer Teezeremonie bekommen Gäste Matcha-Tee in Schalen und leichte Speisen nach bestimmten Regeln serviert. Zum Beispiel muss jeder Gast die Teeschale vor dem Trinken zweimal drehen und dann in drei Schlucken austrinken. Die Zeremonie findet in einem schlicht eingerichteten Teehaus statt. Im Zen-Buddhismus sind diese Zeremonien als chadō, wörtlich „der Weg des Tees“, bekannt.

Die Teezeremonie ist auch eine Zen Art.
FOTO Getty Images

Auch die japanische Teezeremonie zählt zu den Zen-Künsten.

Zen-Malerei zeigt nur das Wesentliche.
FOTO Getty Images

Bei der Zen-Malerei werden mit schwarzer Tinte und Pinsel Gemälde erschaffen.

Zen Art steht für Vergänglichkeit

Zen Art erinnert immer auch an die Vergänglichkeit des Lebens. Toshiro muss seine Werke nach rund ein bis zwei Wochen abbauen. Schicht für Schicht verteilt er dann die Reste seines Blumengestecks in der Natur. „Dieses Auflösungsritual erinnert mich an Schauspieler, wenn sie die Bühne verlassen, sich abschminken, ihre Theaterkleidung ablegen, um zu sich zurückzukehren“, sagt er. Und woher weiß er, wann es Zeit ist, seine Kunst zu verabschieden? „Ich kann das fühlen“, sagt Toshiro. „Ähnlich wie beim Essen. Irgendwann bist du satt.“

Zen im Alltag umsetzen

Um Zen Art zu erschaffen, bedarf es viel Training. Aber keine Sorge, wenn du die Zeit gerade nicht findest. Mit diesen Tipps kannst du die Zen-Philosophie unkompliziert in dein alltägliches Leben integrieren.

Tipp 1 – Entrümple dein Zuhause

Zen bedeutet „weniger ist mehr“. Das fängt schon bei dir zuhause an. Trenne dich von Klamotten und Gegenständen, die du nicht mehr nutzt. Mach dir bewusst, was du wirklich brauchst. Je mehr du abgibst, desto mehr wirst du merken, dass dein Glück nicht von den Dingen abhängig ist, die du besitzt.

Tipp 2 – Richtig zuhören

Den Moment bewusst zu erleben ist oft leichter gesagt als getan. Bestimmt hast du das auch schon während eines Gesprächs bemerkt. Dein Gegenüber redet, aber deine Gedanken schweifen ab. Schon wenn du während einer Unterhaltung bewusst zuhörst und deine ganze Aufmerksamkeit auf die Person vor dir richtest, trainierst du Zen und gehst achtsamer durch den Alltag.

Tipp 3 – Mit der Natur verbinden

Ein Leben nach der Zen-Philosophie bedeutet, im Einklang mit der Natur zu sein und sich mit ihr zu verbinden. Nutze deine Mittagspause für einen Spaziergang im Park oder fahre am Wochenende in den Wald. Schalte dein Handy aus und genieße für ein paar Momente die Stille und die Nähe zur Natur.

Katrin Brahner
Autorin Katrin Brahner

Katrin hat in Berlin Publizistik studiert und schreibt seit drei Jahren als Redakteurin im Lifestyle-Bereich. Wenn sie nicht gerade die weite Welt bereist, übt Katrin Kopfstand auf ihrer Yogamatte, oder ist auf der Suche nach den neuesten Innovationen und Health-Trends. Deshalb schreibt sie bei kronendach für die Rubriken Travel, Mindfulness und Zeitgeist. Nach Feierabend findet man sie meistens mit einer Matcha Latte in der Hand durch die Straßen Hamburgs spazieren.

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